Recht und Datenschutz

Das Hinweisgeberschutzgesetz: Was HR jetzt tun kann | Gastbeitrag

Das Hinweisgeberschutzgesetz gilt seit dem 2. Juli 2023: Das können HR-Manager jetzt unternehmen

02. Juli 2023 · 9 Min. Lesezeit · Gastautor

Im Mai 2023 wurde das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) vom Bundestag beschlossen, welches damit der bereits seit 2021 geltenden EU-weiten Richtlinie folgte. Seit dem 2. Juli 2023 gilt es nun auch in Deutschland. Das Gesetz soll Mitarbeitende schützen, die Missstände und Fehlverhalten im Unternehmen melden möchten. Rechtsanwalt und Datenschutzexperte Martin Bastius klärt auf, welche Vorgaben nun für Unternehmen gelten und worauf dabei insbesondere HR achten muss.

Rechtlicher Hintergrund

Was sind Whistleblower?

Whistleblower ‒ auf deutsch Hinweisgeber ‒ sind natürliche Personen, die Fehlverhalten und Missstände in einem Unternehmen aufdecken. Durch bekannte Whistleblower wie Edward Snowden sind sie in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit getreten. Obwohl sie gesellschaftlich wünschenswert handeln, sind Hinweisgeber und Hinweisgeberinnen bis dato vielen Benachteiligungen ausgesetzt. Werden Missstände aufgedeckt, drohen Repressalien wie Benachteiligungen am Arbeitsplatz oder gar Kündigungen.

Eine Studie des Ethics Resource Centers ergab zwar, dass immer mehr Angestellte, die Fehlverhalten im Unternehmen bezeugen können, dieses auch melden ‒ es aber dennoch immer noch einige Fälle gibt, bei denen keine Meldung gemacht wird. Hier kommt die EU-Richtlinie ins Spiel.

Das Hinweisgeberschutzgesetz: Das gilt für Unternehmen

Die EU-Richtlinie, die im Dezember 2021 in Kraft trat, schützt Whistleblower vor Repressalien und verpflichtet Unternehmen, interne Meldewege für Hinweise auf Fehlverhalten einzurichten. Dies kann gewährleistet werden, indem ein interner Meldekanal eingerichtet wird, der es den Mitarbeitern ermöglicht, Vorfälle je nach Anonymitätseinstellung des internen Kanals anonym zu melden. Das neue Hinweisgeberschutzgesetz in Deutschland lässt es Unternehmen offen, ob sie ein anonymes Hinweisgeberschutzsystem aufsetzen wollen oder ob die Angabe der Identität von meldenden Personen eine Voraussetzung zur Abgabe einer Meldung ist.

In Deutschland zum Beispiel, neben der EU-Richtlinie, wurde am 12. Mai 2023 vom Bundesrat das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) verabschiedet, um die EU-Richtlinie umzusetzen. Das Hinweisgeberschutzgesetz trat am 2. Juli 2023 in Kraft. Die Umsetzung dieser neuen Regelung bringt zusätzliche Verpflichtungen und Informationen für Unternehmen im Zusammenhang mit dem Schutz von Hinweisgebern mit sich:

  1. Einrichtung eines effektiven Meldesystems: Unternehmen müssen ein sicheres Meldesystem einführen, das es Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern ermöglicht, Verstöße zu melden. Dieses System sollte leicht zugänglich sein und klare Anweisungen zur Meldung von Missständen bereitstellen. heyData hat z.B. mattersOut eingeführt – eine interne Hinweisgeber-Plattform, die Unternehmen eine effektive Lösung zur Einhaltung des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes bietet. Es gilt zu beachten:
    1. Unternehmen mit 250 oder mehr Mitarbeitenden müssen seit dem 2. Juli  sichere Hinweisgebersysteme einführen. Firmen mit 50 bis 249 Mitarbeitenden haben eine Übergangszeit bis zum 17. Dezember 2023.
    2. Innerhalb von sieben Tagen ist der Eingang einer Meldung zu bestätigen.
    3. Unternehmen haben drei Monate Zeit, eine inhaltliche Rückmeldung zu geben. Nur in zu begründenden Ausnahmefällen kommt eine Fristverlängerung in Betracht.
  2. Klare Richtlinien und Schulungen: Unternehmen sollten Richtlinien zur Behandlung von Hinweisen entwickeln und ihre Mitarbeiterinnen sowie Mitarbeiter darüber informieren. Dazu gehört auch die Schulung der so genannten Case Managerinnen und Case Manager. Zusätzlich ist die Schulung aller Mitarbeitenden empfehlenswert.
  3. Schutz der Hinweisgeber Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen sicherstellen, dass Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber vor Benachteiligung oder Repressalien geschützt werden. Dies erfordert die Implementierung von Schutzmaßnahmen und die Sensibilisierung von Mitarbeitenden für die Bedeutung des Hinweisgeberschutzes.
  4. Gründliche Untersuchung der Hinweise: Jeder eingehende Hinweis sollte gründlich und vertraulich untersucht werden. Unternehmen müssen klare Verfahren festlegen, wie mit den gemeldeten Informationen umzugehen ist, und sicherstellen, dass alle relevanten rechtlichen und regulatorischen Anforderungen erfüllt werden. Es gilt zu beachten:
    1. Hinweise können mündlich oder schriftlich übermittelt werden, und auf Wunsch sollte auch eine persönliche Meldung möglich sein.
    2. Auch die Übermittlung von möglichen Beweisen im Zusammenhang mit dem Hinweis sollte ermöglicht werden.
    3. Nach der Meldung eines Vorfalls sollte eine vertrauensvolle und geschützte Kommunikation mit dem Hinweisgeber möglich sein, um über nächste Schritte aufzuklären, weitere Informationen anzufragen und zu unterstützen.
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Die Rolle von HR

Whistleblowing-Angelegenheiten sind hochsensibel und können u.a. sexuelle Belästigung, Fälle von Diskriminierung oder Datenschutzverstöße betreffen. Auch wenn der erste Anhaltspunkt für solche Themen oft die Rechtsabteilung ist, sollte die Rolle der Personalabteilung nicht unterschätzt werden: Fehlverhalten am Arbeitsplatz kann über rechtliche Folgen hinaus auch schwerwiegende Ausmaße für die Unternehmenskultur haben! HR-Verantwortliche sollten demnach eng mit der Rechtsabteilung zusammenarbeiten, um sowohl den rechtlichen Aspekten auf den Grund zu gehen als auch die Sicherheit und das Wohlergehen des oder der Einzelnen zu gewährleisten.

Hinweisgebersystem: Chance oder Risiko?

Die Etablierung eines sogenannten Hinweisgeberschutzsystems, oftmals auch als Speak Up Plattform oder Awareness Plattform bekannt, kann hier als Unterstützung dienen. Trotz aller Herausforderungen, die mit der neuen Richtlinie verbunden sind, sollten sich Unternehmen auch die Vorteile eines solchen Systems vor Augen halten.

Neben der Bereitstellung des gesetzlich vorgeschriebenen sicheren Hinweisgeberkanals für den Hinweisgeber trägt es zur schnellen und effizienten Bearbeitung von Whistleblowing-Angelegenheiten bei. Über die gesetzliche Vorgabe hinaus bietet solch eine Plattform einen Schutzschild für betroffene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, was unter anderem die Unternehmensarbeit bei der Verbesserung der Unternehmenskultur unterstützen kann.

Der Schutz von Unternehmen

Whistleblowing kann dazu beitragen, potenzielle Probleme innerhalb von Unternehmen (rechtzeitig) aufzudecken und bereits bestehende Missstände zu beseitigen. Unternehmen bekommen so die Chance, notwendige Korrekturen vorzunehmen, und zwar innerhalb des Unternehmens und ohne Einbezug von externen Akteuren wie zum Beispiel der Staatsanwaltschaft. So können sich Unternehmen um die Angelegenheit kümmern, ohne dass ihre Reputation und das generelle Vertrauen in das Unternehmen selbst Schaden nimmt. Durch die Vermeidung weiterer Rechtswidrigkeiten wird des Weiteren das Haftungsrisiko minimiert ‒ auch bleiben so beispielsweise mögliche Strafzahlungen erspart.

Die Meldungen stellen daher keine Bedrohung dar, sondern sind ein aktiver Schutz der Unternehmensinteressen.

Mitarbeitende sind dabei die wichtigste Ressource! Eine von der Association of Certified Fraud Examiners durchgeführte Studie ergab, dass bei 2110 untersuchten Fällen von Betrug und Rechtsverstößen 55 % aller Hinweise von den Mitarbeitenden selbst getätigt wurden.

Es lohnt sich also, die Unterstützung der Mitarbeitenden zu nutzen, um das Risiko vor weiteren Verstößen zu mindern und interne Prozesse zu verbessern.

Rückendeckung für Angestellte

Nimmt ein Unternehmen das Thema Whistleblowing ernst, sendet es die klare Botschaft an seine Angestellten, dass ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen hohen Stellenwert haben.

Indem sie ermutigt werden, sich zu äußern, wird ihnen signalisiert, dass sie gehört werden und sich wohl fühlen können, wenn sie eine Meldung machen.

Gibt ein Unternehmen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eine Stimme, hört ihnen zu und signalisiert ihnen, dass ihre Meldungen wichtig sind, werden sie als Individuen gestärkt. Neben der intrinsischen Motivation, etwas Gutes zu tun und Missstände aufzudecken, fühlen sie sich durch die Whistleblowing-Richtlinie außerdem in ihrer Rolle beschützt.

Chance für die Unternehmenskultur

Wenn Angestellte das Gefühl haben, dass sie Fehlverhalten ohne Angst ansprechen können, fördert dies eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens. Ein Unternehmen sendet so ein klares Signal, dass Fehlverhalten nicht geduldet wird und schafft eine Kultur, in der es die Norm ist, das Richtige zu tun. Insbesondere das Vertrauen zwischen Angestellten und Management kann so gestärkt werden und Arbeitgeber können einen Loyalitäts- und Vertrauensbonus ergattern.

Damit können sich Unternehmen als Organisationen positionieren, in denen Transparenz und Vertrauen in Mitarbeitende und ihre Integrität als wichtige Aspekte gelebt werden. Die auf Vertrauen basierende Verantwortlichkeitskultur fördert Teamarbeit und zeigt, dass an einem Strang gezogen wird. Geben Unternehmen ihren Mitarbeitenden eine Stimme, formen sie mit ihnen zusammen ihre Unternehmenskultur und sorgen gemeinsam für die Sicherheit des Unternehmens und der Mitarbeitenden.

Positiv für Reputation und Employer Branding

Auch für potenziell neue Mitarbeitende stellen Unternehmen damit einen attraktiven Arbeitgeber dar, der ethische Werte fördert und die Sicherheit und das Wohlbefinden der Angestellten groß schreibt. Die (potenziellen) Mitarbeitenden können sich infolgedessen besser mit dem Unternehmen identifizieren und fühlen sich in ihrer Rolle gestärkt, zum Schutz des Unternehmens beizutragen.

Wenn Mitarbeitende wissen, dass sie Fehlverhalten melden können, ohne Nachteile befürchten zu müssen, ziehen Unternehmen außerdem jene an, die ihre ethischen Werte teilen. Der Unternehmensauftritt nach außen sowie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Firma wird dadurch ebenso gestärkt wie das Vertrauen der schon vorhandenen Mitarbeitenden in ihren Arbeitgeber. Insbesondere für Unternehmen, die mit hochsensiblen Informationen agieren und im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, ist das wichtig.

Ist ein Hinweisgebersystem wirklich notwendig?

Wie bereits erwähnt, haben Unternehmen eine rechtliche Verpflichtung, einen Meldekanal aufzusetzen. Über den Meldekanal hinaus hat ein ausgefeiltes Hinweisgebersystem viele weitere Vorteile, die bereits erwähnt wurden.

Doch gerade wenn Unternehmen bereits eine offene Firmenkultur leben, zweifeln Verantwortliche oft die Notwendigkeit eines Hinweisgeber- oder Whistleblowing-Systems an. Eine Studie von Ernst & Young zeigte jedoch, dass sich viele Angestellte in Unternehmen mit einer offenen Kultur immer noch unwohl dabei fühlen, Fehlverhalten zu melden. Zwar kann eine offene Unternehmenskultur dazu beitragen, Fehlverhalten von vornherein zu verhindern ‒ doch ist dies keinesfalls ein Garant dafür.

Eine Eurobarometer-Umfrage der Europäischen Kommission von März und April 2022 ergab außerdem, dass 85 % der Europäer und Europäerinnen in den letzten 12 Monaten Korruptionsfälle nicht gemeldet haben, derer sie sich bewusst waren.

Angestellten muss demnach ganz aktiv eine Stimme gegeben und auch zugehört werden ‒ unabhängig von einer bereits vorhandenen offenen Kultur.

Ein formalisiertes Meldesystem trägt schlussfolgernd nicht nur dazu bei, dass Fehlverhalten angemessen behandelt wird und dass Hinweisgeber die Gewissheit haben, dass konkrete Schritte unternommen werden ‒ wenn das Meldesystem auf diese Weise eingerichtet ist, es ermöglicht den Mitarbeitenden auch, anonym zu bleiben. Es ist jedoch klar definiert, dass Unternehmen verpflichtet sind, Hinweisgeber in jeder Hinsicht zu schützen, was sie konkret ermutigt, sich zu Wort zu melden.

Whistleblowing als Chance für Unternehmen und Mitarbeiter

Whistleblowing und das neue Hinweisgeberschutzgesetz sind wichtige Schritte, um Arbeitnehmer und -nehmerinnen am Arbeitsplatz zu unterstützen. Effektive Schulungsmaßnahmen, einen vertraulichen Meldekanal und die Verpflichtung von Unternehmen, die Identität und Integrität von Hinweisgebern bei der Meldung von Beschwerden und Vorfällen zu wahren, schützt aber nicht nur Arbeitnehmende, sondern auch Arbeitgebende und fördert sowohl verantwortungsbewusstes und ethisch einwandfreies Verhalten als auch Transparenz und die Integrität der Angestellten.

Insbesondere HR- oder People & Culture-Verantwortliche sollten Whistleblowing als Chance verstehen und unterstützende Prozesse und Tools im Unternehmen nutzen. Damit befolgen sie nicht nur eine gesetzliche Vorgabe, sondern können die Implementierung auch zum Teil ihrer Unternehmenskultur machen und sowohl Compliance als auch Vertrauen und Transparenz groß schreiben.

Martin Bastius von heyData
Logo Partner heydata

Über Martin Bastius: Er ist Rechtsanwalt im Datenschutz und Co-Founder des Unternehmens heyData. Er hat Jura an der Bucerius Law School in Hamburg, der Universidad de los Andes in Bogotá und der Tel Aviv University studiert.

heyData ist Compliance-Dienstleister (u.a. externer Datenschutzbeauftragter und Anbieter einer Whistleblowing-Lösung) und ein Partner von HRworks. Als Kunde von HRworks erhalten Sie bei heyData vergünstigte Tarife.

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