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Mitarbeiter 50-Plus: Das unterschätzte Potenzial einer Altersgruppe | Gastbeitrag

Mitarbeiter 50-Plus bringen Know-how und umfassende Berufserfahrung mit

28. September 2022 · 8 Min. Lesezeit · Gastautor

Häufig unterschätzt und dabei unverzichtbar: Mitarbeiter im Alter 50-Plus besitzen umfangreiche Berufserfahrung, die vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels immer wichtiger wird. Wie Unternehmen die Stärken und Potenziale von Mitarbeitern mit 50-Plus wirklich nutzen und was das für HR-Abteilungen bedeutet, verrät Gastautor Andreas Seltmann. Dabei geht der Experte für Employer Branding und Personalmarketing auch darauf ein, wie Ü50er ihre berufliche Zukunft proaktiv selbst in die Hand nehmen.

Die allermeisten Unternehmen spüren allzu schmerzlich, wie anstrengend es ist, neue Mitarbeiter zu finden. Eine Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergab, dass die Zahl der unbesetzten Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein Rekordhoch erreicht hat. Für das zweite Quartal 2022 sind 1,93 Millionen Stellen offen. Aus dem Fachkräftemangel ist längst ein Arbeitskräftemangel geworden. Wer den Bedarf an erforderlichen Mitarbeitern, Kompetenzen und Know-how nicht decken kann, riskiert langfristig den Erfolg seines Unternehmens. Diese Erkenntnis gewinnt umso mehr an Bedeutung, da der demografische Wandel zusätzlich bereits in vollem Gange ist. In den Jahren 2025 bis 2035 gehen die geburtenstarken Jahrgänge – die Babyboomer – in die Rente. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen dadurch 5 Millionen Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt.

Arbeitnehmer 50-Plus als Weg aus dem Fachkräftemangel

Da es die eine Lösung für das Dilemma nicht gibt, gilt es eine eigene Toolbox aufzubauen, um der Situation entgegenzuwirken. Eines der Tools sollte unbedingt sein, die Potenziale der Mitarbeitenden mit 50-Plus im Unternehmen besser zu nutzen – gerade wenn es schwierig ist, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Sie sollten also Voraussetzungen schaffen, dass auch 50-Plusser sich bis zuletzt für „ihr Unternehmen“ engagieren. Das ist wirtschaftlich sinnvoll, sozial intelligent, fördert generationenübergreifende Zusammenarbeit und steigert das Image als Arbeitgeber.

In der Praxis überwiegen die Vorurteile

Leider treffe ich in meiner beruflichen Praxis immer wieder auf unhaltbare Vorurteile gegenüber Mitarbeitenden mit 50-Plus. Aussagen wie: viel zu teuer, zu unflexibel, zu alt oder „digitale Nixchecker“ dominieren immer noch allzu oft das Denken und Handeln von HR-Verantwortlichen und Führungskräften. Mit ihrer Arroganz blockieren sie unternehmerisches Potenzial und leisten es sich, diese wichtige Personengruppe zu vernachlässigen oder gar zu ignorieren.

Dabei wollen 50-Plusser oft noch etwas Neues wagen, ihr Know-how weitergeben und sich wirklich für „ihr Unternehmen“ einsetzen. Denn mittlerweile ist der letzter Berufsabschnitt oft geprägt von weitgehender Unabhängigkeit, viel Lebenserfahrung und von relativ stabiler Gesundheit. Richtig eingesetzt ist das die Basis, kraftvoll unternehmerisch wirksam zu sein. Falsch eingesetzt, ist es wie in einer öden Wartehalle demotiviert Dienst nach Vorschrift zu schieben. Da Mitarbeiter mit 50-Plus oft auch Führungskräfte, Schlüsselpersonen und Know-how-Träger sind, sollte ihre Bedeutung für das Unternehmen dementsprechend hoch sein, oder?

Zu wenig Orientierung, Dialog und Angebote für 50-Plus

Was in meinem Beratungsalltag auch immer noch sehr wenig vorzufinden ist, sind Unternehmen, die proaktiv mit ihren 50-Plussern im Dialog sind und gute Angebote für diese Zielgruppe am Start haben. Es scheint bequemer, kreativer und hipper zu sein, sich um die Angebote „der Jungen“ zu kümmern. Maßnahmen, Angebote und Strategien für „die Alten“ zu entwickeln erweckt den Anschein, anstrengend und unbeliebt zu sein. Sehr verwunderlich, denn die Zahlen der Alterstrukturanalysen lügen nicht. Ist es die Scheu vor der Auseinandersetzung mit Tabuthemen, mangelnder Rückhalt der Unternehmensleitung, oder sind es die landläufigen Vorurteile gegenüber Ü50ern, die viele Unternehmen einen Bogen um das Thema 50-Plus machen lassen?

Älterwerden im Beruf als Chance, nicht als Makel sehen

Aber zurück zu den Vorurteilen. Ältere Arbeitnehmer werden oft mit defizitorientierten Attributen wie: verminderte Leistungsfähigkeit, langsame Auffassungsgabe oder mangelndes Engagement versehen. Unternehmerisch wirksamer, motivierender und gewinnbringender ist es aber, sich auf deren individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen zu fokussieren. Ständig treffe ich auf 50-Plusser, die Kompetenzen und Werte wie Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Zielstrebigkeit, Menschenorientierung und Neugier aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrung exzellent in sich vereinen. Und was das Allerbeste ist, die meisten brauchen „Keine Lorbeeren“ mehr und beruflicher Aufstieg ist nicht mehr ihr oberstes Gebot. Das heißt Machtkämpfe in Teams sind kein Thema ‒ es zählt das Miteinander.

Laut der DIA-50-plus-Studie von 2017 kann sich jeder neunte über 50jährige (das sind 11 % dieser Altersgruppe ) vorstellen, sich selbständig zu machen. In der Praxis ist eine berufliche Veränderung mit 50-Plus jedoch oft ein Tabuthema. Dabei muss es ja nicht der Schritt in die Selbstständigkeit sein. Ein interner Wechsel, um seine Kompetenzen, Motivation und Lebensfreude besser einzubringen, sollte auch für 50-Plusser eine Option sein.

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Nur die Lohnkosten zu sehen, greift viel zu kurz

Gewiss ist der Kostendruck durch Corona sowie durch die Energie- und Lieferkrise in den Unternehmen deutlich gestiegen. Jeder Mitarbeiter muss seinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Doch es sind nicht ausschließlich die Lohnkosten, die den Faktor Personal teuer machen. Ein junger Mitarbeiter bleibt im Schnitt deutlich kürzer im Unternehmen und die Einarbeitung in komplexe Sachverhalte kostet speziell im industriellen Umfeld oft viel Zeit. Die Zeitspanne, die ein Junior aktiv zur Wertschöpfung beiträgt, ist unter Umständen dementsprechend begrenzt. Und wie ein Blick auf die von Gehalt.de veröffentlichte Gehaltstabelle von „Fach- und Führungskräfte im Alter von über 50 Jahren“ zeigt, sind die Ü50er nicht viel teurer als die vermeintlichen Young Professionals.

Proaktiv als 50-Plusser seine Zukunft in den Fokus nehmen

Im Lebens- und Berufsabschnitt 50-Plus gilt es einiges mit sich selbst, mit dem Partner, der Familie und mit dem Unternehmen zu klären, um sich bewusst zu machen, was man in seinem letzten Berufsabschnitt noch leisten will und kann (und was nicht). Es ist der eigenverantwortliche Weg zum eigenen Standpunkt, zur eigenen Haltung und damit zur eigenen Zukunft.

Denn wer seine Kompetenzen, Wünsche sowie seine körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeiten kennt, kann sich proaktiv einbringen und eigene Vorschläge unterbreiten. Gemeinsam mit der Führungskraft gilt es natürlich dann die Vorschläge mit den Möglichkeiten und Vorstellungen des Unternehmens abzugleichen. Für diese „Findungs- und Reibungsphase“ sollte ein geschützter Raum geschaffen und entsprechende Orientierungsangebote geschaffen werden. Diese können zum Beispiel interne oder externe Orientierungsseminare oder auch Coachings sein. Denn wenn durch Orientierung in positiven, menschenorientierten Auseinandersetzungen, Klarheit und Vertrauen entsteht, können alle Beteiligten nur gewinnen.

Es braucht Führungskräfte und diese brauchen Begleitung

Die Berufsphase 50-Plus ist ein Lebensabschnitt der Abschlüsse und der Neuorientierung. Da es sich darüber hinaus um eine gesellschaftliche und unternehmerische Tabuzone handelt, brauchen nicht zuletzt Führungskräfte Schulung, Begleitung und Unterstützung. Es kommen zum Beispiel in Mitarbeitergesprächen mit 50-Plussern neue Themen hinzu, wie zum Beispiel altersgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes, „proaktives Gestalten des Hinauswachsens“, altersgerechtes Lernen, Wissenssicherung und vieles mehr. Um bei diesen (neuen) Themen sattelfest zu werden, ist es gewinnbringend, Führungskräfte zu sichern und idealerweise auch zu coachen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, dass auch in kollegialen Beratungen und Führungskräftekonferenzen das Thema seinen Platz bekommt.

Employer Branding und 50-Plus: Wie Sie sich richtig positionieren

Auch im Rahmen des Employer Brandings und Diversity Managements sind Arbeitgeber gut beraten, sich mit dem Thema 50-Plus zu beschäftigen. Laut einer Studie von Glassdoor ist 67 % der Stellensuchenden Diversity im Team wichtig. Diverse und inklusive Unternehmen sind 33 % erfolgreicher, entwickeln sich mit einer 1,7-mal höheren Wahrscheinlichkeit zu Innovationsführern und haben obendrein eine deutlich bessere Chance, Top-Talente anzuziehen, so die Studie. Mit anderen Worten: 50-Plus ist nicht nur ein Buzzword, sondern ein strategisches Schlüsselinstrument im Personalwesen und Employer Branding, das differenziert. Mehr denn je lebt die Attraktivität als Arbeitgeber und die Arbeitgebermarke von der Vielfalt aller Menschen im Unternehmen.

Fazit: Wie 50-Plus zum Plus für Unternehmen wird

Wer im Wettbewerb um „besondere Mitarbeiter“ einen Schritt voraus sein will, muss ein „besonderes Unternehmen“ werden! Dazu gehört es, im Rahmen der lebensphasenorientierten Personalarbeit passgenaue Maßnahmen – auch für Mitarbeiter in der Generation 50-Plus zu entwickeln. Ü50er brauchen maßgeschneiderte Angebote im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements, wertschätzende Zusammenarbeit sowie Führung und Orientierung für die letzte Phase im Beruf – und für die Phase danach.

Idealerweise ist das Thema 50-Plus in der Personal- sowie der Employer-Branding-Strategie verankert und erfährt eine proaktive Unterstützung der obersten Führungsebene. Diese ist von sehr großer Bedeutung für die Akzeptanz des Themas und die Bereitstellung von Ressourcen – zum Beispiel für die Prozessbegleitung durch Orientierungsseminare und Coachings.

Unternehmen, die es schaffen, die Potenziale der Mitarbeitenden mit 50-Plus zu nutzen, schlagen mehrere Fliegen mit einer Klappe. Sie werden produktiver sein, zufriedenere Mitarbeiter haben, Markenbotschafter besitzen und als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden.

Andreas Seltmann
Andreas Seltmann Logo

Über Andreas Seltmann: 1968 am Bodensee geboren, studierte er Energie- und Automatisierungstechnik und besitzt weitere Abschlüsse als Betriebsökonom und Businessmoderator. Über das Produktmanagement wandelte sich der Diplom-Ingenieur zum Marketing- und Employer-Branding-Experten. Andreas Seltmann führte über eine Dekade als Mitglied der Geschäftsleitung das Marketing, die Kundenakademie und die Unternehmenskommunikation bei der deutschen Einheit eines großen Schweizer Familienunternehmens der Gebäude- und Sicherheitstechnik. Das Unternehmen wurde mehrfach für sein Employer Branding ausgezeichnet, unter anderem vom Great-Place-to-Work-Institut als einer der 100 besten Arbeitgeber Deutschlands.

Seit 01.01.2020 widmet sich der Kommunikationsexperte als freiberuflicher Berater dem Employer Branding und Personalmarketing. Andreas Seltmann begleitet Firmen auf ihrem Weg, ein Top-Arbeitgeber zu werden, baut Väternetzwerke in Unternehmen auf, ist Buchautor und als Dozent bei verschiedenen Bildungseinrichtungen tätig.

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