Das Stay Interview: So vermeiden Sie Kündigungen proaktiv
Aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels und der coronabedingten Kündigungswelle sind unbesetzte Stellen ein relevantes Problem in vielen Unternehmen. Das erklärte Ziel von Personalerinnen und Personalern besteht daher aus gutem Grund darin, Angestellte im Betrieb zu halten. Ein zunehmend bewährtes Mittel: das Stay Interview. Wie ein solches Gespräch abläuft, wie wichtig es für die Personalabteilung ist und welche positiven Effekte es auf Unternehmen sowie deren Belegschaft hat, erfahren Sie hier.
Was genau ist das Stay Interview?
Stay Interview bedeutet übersetzt “Bleibegespräch” und ist ein Austausch zwischen einem Mitarbeiter und einem Personaler. Dabei geht es nicht nur darum, mögliche Kündigungsgründe zu erfahren, sondern auch die allgemeine Situation des Angestellten im Unternehmen zu erfassen und so Optimierungspotenziale zu erkennen. Ein solches Gespräch dauert etwa 30 Minuten und sollte ungefähr alle sechs Monate geführt werden. Ins Leben gerufen wurde das Stay Interview in den USA – um der dort gestarteten Great Resignation entgegenzuwirken. Auch gegen das Arbeitstrend “Stille Kündigung” sind Stay Interviews sinnvoll.
Welche Bedeutung hat das Stay Interview für Unternehmen?
Das Stay Interview dient dazu, wechselwillige Mitarbeiter im Betrieb zu halten – denn längst ist die Kündigungswelle auch in Deutschland angekommen. Um diese akut, aber auch langfristig zu brechen, müssen HR-Managerinnen und HR-Manager die Gründe für die Wechselbereitschaft der Belegschaft ausmachen. Gleichzeitig ist es essenziell, den Angestellten zu verdeutlichen, dass sie und ihre Arbeit im Unternehmen geschätzt werden.
Welche Vorteile bringen Stay Interviews für Unternehmen?
Stay Interviews geben Personalern wichtige Informationen über die sich ändernden persönlichen Umstände der Angestellten. Außerdem erhalten sie detaillierte Einblicke in die einzelnen Abteilungen. Diese Rahmenbedingungen sind häufig miteinander verknüpft, sodass ein solches Gespräch vielfältige Vorteile mit sich bringt:
- Mitarbeiterfluktuation senken: Verschwinden die Gründe, die zum Kündigungsgedanken geführt haben, ändern Mitarbeiter häufig ihre Meinung.
- Mitarbeiterbindung verbessern: Erfolgen aufgrund von individuellen Äußerungen im Gespräch Änderungen im Unternehmen, sehen sich Angestellte als Teil der Firma.
- Mitarbeiterzufriedenheit steigern: Durch die Möglichkeit der aktiven Gestaltung des eigenen Arbeitsplatzes sind Mitarbeiter wesentlich zufriedener.
- Employee Experience optimieren: Die Employee Experience ist deutlich besser, wenn sich Angestellte wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen.
- Kosten sparen: Wer einen Mitarbeiter hält, statt ihn an ein anderes Unternehmen zu verlieren, spart deutlich. Denn die Suche, Einstellung und Einarbeitung eines Nachfolgers ist deutlich kostenintensiver.
- Talente fördern: Ist bekannt, in welche Richtung sich ein Angestellter entwickeln möchte, wird er gezielt gefördert.
- Kompetenzmanagement steuern: Es ist nicht nötig, neue Stellen auszuschreiben, wenn es bereits Angestellte gibt, die diese übernehmen möchten.
Wie ist der Ablauf beim Stay Interview?
Im Stay-Interview-Prozess versuchen Personaler die komplexe berufliche Situation von Angestellten abzuklopfen. Folgende Stay-Interview-Fragen an den Mitarbeiter sind hier sinnvoll:
- Was hält dich im Unternehmen, was motiviert dich?
- Bekommst du genug Anerkennung?
- Bist du mit der Bezahlung zufrieden?
- Fühlst du dich häufig über- oder unterfordert?
- Welche Werte schätzt oder vermisst du in der Unternehmenskultur?
- Wie wirkt sich die Arbeit auf deine Work-Life-Balance aus?
- Haben sich die Gegebenheiten im Unternehmen zum Positiven oder zum Negativen verändert?
- In welchen Bereichen gibt es Optimierungsbedarf?
- Was sind deine langfristigen beruflichen Ziele und kannst du dir vorstellen, sie in diesem Unternehmen zu verwirklichen?
- Aus welchen Gründen würdest du kündigen?
Sind alle Fragen beantwortet, geht HR direkt auf die angesprochenen Probleme ein. Besonders wichtig ist es zudem, den positiven Antworten die entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken: Auf diese Weise rücken sie ins Bewusstsein des Mitarbeiters und stärken die Bindung zum Unternehmen.
Das Stay Interview ‒ Best Practices
Die Schaffung einer Feedbackkultur ist eine sehr effektive Methode, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein wertschätzendes Gefühl zu geben. Damit das Gespräch seine positiven Auswirkungen entfaltet, ist dieser Stay-Interview-Leitfaden zu beachten:
- Frühzeitige Ankündigung: Damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ruhig bleiben im Stay Interview, ist das Gespräch rechtzeitig anzukündigen. Auf diese Weise haben sie ausreichend Zeit, sich darauf vorzubereiten.
- Offenkundiger Hintergrund: Wichtig ist, im Gespräch nicht unvermittelt nach einer möglichen Kündigung zu fragen. Es ist besser zu Beginn zunächst den Hintergrund des Stay Interviews zu erklären, um anschließend eine konstruktive Unterhaltung führen zu können.
- Informelles Gespräch: Hat der Mitarbeiter das Gefühl, sich auf gleicher Ebene unterhalten zu können, öffnet sich dieser eher. Dazu sollten Personaler die Atmosphäre so angenehm wie möglich gestalten – also nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und keine bohrenden Nachfragen stellen.
- Selbstverständliche Diskretion: Damit alle Beteiligten einen Nutzen aus der Unterhaltung ziehen, ist Diskretion ein Muss. Das sollten HR-Manager auch klar im Gespräch kommunizieren. Sonst kann das Stay Interview entgegen seiner Intention zu Irritationen im Kollegenkreis führen.
- Klarer Sachverhalt: Im Austausch ist es wichtig herauszufinden, ob die angesprochene Problematik auf subjektiven Gefühlen basiert oder unternehmensspezifisch ist und sich möglicherweise durch mehrere Abteilungen zieht.
- Anonyme Verifizierung: Um Aussagen nachzuvollziehen, prüfen Personaler bereits erfolgte Mitarbeiterbefragungen. Auch in Stay Interviews mit anderen Kolleginnen und Kollegen fragen sie offen nach dem benannten Problem. Stellt es sich als relevant heraus, beziehen sie die verantwortliche Führungskraft mit ein.
- Aktive Umsetzung: Nicht zuletzt ist es essenziell, dass die im Gespräch geäußerten Anregungen ernst genommen und so weit wie möglich umgesetzt werden. Nur so fühlen sich Mitarbeiter wohl, wertgeschätzt und gesehen.
Warum ist das Stay Interview so wichtig für HR?
Das Stay Interview wird in Zeiten des steigenden Fachkräftemangels zunehmend relevant für die HR-Strategie. So deuten erste Erfolge bereits auf einen Rückgang der Fluktuation von 4 % in einem Jahr hin. Die Gründe liegen auf der Hand: Häufig sprechen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Themen an, die rein subjektiv und temporär sind. Hier schafft HR durch ein offenes Ohr sowie durch Tipps zur besseren Strukturierung von Prozessen bereits Abhilfe. Außerdem erfahren Personaler im Stay Interview die häufigsten Kündigungsgründe in ihrem Unternehmen und können dadurch gezielt Gegenmaßnahmen ergreifen.
Auf diese Weise ist die Personalabteilung in der Lage, viele oft genannte Kündigungsgründe durch Einbeziehung der Führungskräfte zu beseitigen. Dazu zählen unter anderem “zu viel Druck vom Chef”, “zu viele Aufgaben”, “mangelnde Wertschätzung”, “ fehlender Zusammenhalt im Team” oder “schlechte Arbeitsatmosphäre”. Allerdings ist hier Fingerspitzengefühl gefragt. Denn: Besonders Führungskräfte gilt es zu halten, da ihre Positionen vergleichsweise schwer nachzubesetzen sind.
Besser Bleibegespräch als Vorstellungsgespräch
Das früher mit flauem Gefühl im Magen angetretene Mitarbeitergespräch ist durch tiefgreifende Veränderungen auf der Hierarchieebene in Unternehmen mittlerweile ein gefragtes Werkzeug von Personalern und Angestellten. In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels ist es für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer essenziell zu erfahren, aus welchen Gründen ihre Beschäftigten das Unternehmen verlassen. Um Kündigungen zu vermeiden, sind diese Ursachen bereits bei den ersten Anzeichen von Unzufriedenheit auszumachen. Auf diese Weise fühlen sich Angestellte nicht nur ernst genommen und verstanden, sondern erleben sich als aktive Mitgestalter des Unternehmens, deren Wohlergehen wichtig ist. Es ist anzunehmen, dass regelmäßig durchgeführte Bleibegespräche die Kündigungsquote und somit die Fluktuationsrate sukzessive senken – wenn die im Gespräch angeregten Veränderungen erfolgen.
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