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Das BAG-Urteil zur Zeiterfassung: Was jetzt auf Unternehmen zukommt

Das BAG-Urteil zur Zeiterfassung stellt Unternehmen in Deutschland vor Herausforderungen

06. Dezember 2022 · 5 Min. Lesezeit · HRworks Redaktion

Seitdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte, dass die Zeiterfassung für Firmen und Betriebe verpflichtend sei, ist die Unsicherheit in deutschen Unternehmen groß: Offiziell gilt die Pflicht bereits, dennoch existiert aktuell noch kein Gesetz, das allgemein verbindliche und verlässliche Rahmenbedingungen vorgibt. Ob Vertrauensarbeitszeit oder mobiles Arbeiten ‒ das BAG-Urteil wirkt sich auf zahlreiche Bereiche des Arbeitslebens aus. Da die Urteilsbegründung nun vollständig vorliegt: Was kommt konkret auf Unternehmen in Deutschland zu?

Ein kleiner Rückblick: Wie es zum BAG-Urteil kam

Auch wenn zum Teil der Ruf ertönt, das BAG-Urteil vom 13.09.2022 samt Urteilsbegründung vom 03.12.2022 sei bürokratisch und insofern “typisch deutsch”, so liegt dem aktuellen Richterspruch des Bundesarbeitsgerichts ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zugrunde. Denn bereits im Mai 2019 urteilte der EuGH, dass Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mithilfe eines Zeiterfassungssystems erfassen müssen. Die Kriterien eines solchen Systems: objektiv, verlässlich und zugänglich zu sein. Allerdings machte der EuGH damals keine Vorgaben dazu, bis wann die Mitgliedstaaten der EU dieses Urteil in nationales Recht überführen müssen. Die deutsche Politik sah in den letzten Jahren daher wohl geringen Handlungsbedarf ‒ das hat der BAG aber nun schlagartig geändert.

Dabei ging es in dem vom BAG verhandelten Fall gar nicht um das EuGH-Urteil selbst, sondern darum, dass ein Betriebsrat die Einführung einer Zeiterfassung in seinem Unternehmen erzwingen wollte. Interessanterweise unterlag der Betriebsrat in diesem Fall, denn laut BAG bestehe sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG nur, solange betriebliche Angelegenheiten nicht gesetzlich geregelt seien. Da aber § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG Arbeitgeber ohnehin dazu verpflichte, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu erfassen, könne der Betriebsrat die Einführung einer Arbeitszeiterfassung nicht erzwingen. Die Ironie dabei: Der Betriebsrat unterlag vor Gericht und bekam indirekt trotzdem Recht.

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Ein Urteil mit weitreichenden Folgen ‒ und einem kleinen Aufschub

Es gibt nichts daran zu rütteln: Für Unternehmen besteht de facto bereits jetzt die Pflicht, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Arbeitgeber müssen daher die Zeiten ihrer Angestellten dokumentieren, um in der Lage zu sein, sie beispielsweise bei Kontrollen durch Behörden vorzuzeigen. Laut MDR AKTUELL will das Bundesarbeitsministerium voraussichtlich schon im ersten Quartal 2023 einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Daher sollten Unternehmen sich spätestens jetzt darum kümmern, ein geeignetes System für die Zeiterfassung ihrer Mitarbeiter einzuführen.

Die Aufgabe mag zwar auf den ersten Blick undankbar klingen, da die Kriterien “objektiv, verlässlich und zugänglich” einen gewissen Interpretationsspielraum zulassen. Doch bieten die meisten gängigen Systeme zur Personalzeiterfassung sowohl Personalverantwortlichen als auch Mitarbeitern einen transparenten und nachvollziehbaren Überblick über ihre erfassten Arbeitszeiten und Abwesenheiten. Ebenso handelt es sich dabei in vielen Fällen um Cloud-Lösungen, die Arbeitnehmern selbst im Homeoffice zur Verfügung stehen. Die wesentlichen technischen Voraussetzungen für die Umsetzung der Urteile von EuGH und BAG existieren also bereits. Prinzipiell besitzen Unternehmen in der Wahl und Ausgestaltung ihres Zeiterfassungssystems jedoch einen großen Spielraum.

Vertrauensarbeitszeit adé? Oder nur ein großes Missverständnis?

Dass die Pflicht zur Zeiterfassung das Ende der Vertrauensarbeitszeit bedeuten könnte, treibt viele wirtschaftliche Entscheiderinnen und Entscheider in Deutschland um. Und der Umstand, dass das BAG-Urteil mehrere Monate ausschließlich als Pressemitteilung vorlag, trug nicht gerade dazu bei, klare Verhältnisse zu schaffen. Kein Wunder also, dass in diesem Punkt die Meinungen auseinandergingen. Mittlerweile ist jedoch klar: Das Arbeiten unter Vertrauensarbeitszeit ist weiterhin möglich.

Allerdings heißt das nicht, die Zeiterfassung für Arbeitnehmer entfällt, die unter Vertrauensarbeitszeit arbeiten. Denn Vertrauensarbeitszeit bedeutet im Grunde, dass Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten eigenverantwortlich planen und dafür sorgen, das mit ihrem Arbeitgeber vereinbarte Zeitvolumen tatsächlich zu erfüllen. Schon vor den Urteilen zur Zeiterfassung galten auch hier die Rahmenbedingungen des Arbeitszeitgesetzes. Was sich nun jedoch ändert: Bisher war ein wesentlicher Bestandteil der Vertrauensarbeitszeit, dass Arbeitgeber darauf verzichteten, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Gerade dieser Punkt lässt sich allerdings mit den bestehenden Erfassungspflichten vereinen. Oder mit anderen Worten: Die Flexibilität der Vertrauensarbeitszeit bleibt bestehen, aber Vertrauen wird um Dokumentation ergänzt.

Wiwo Siegel

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Apropos Flexibilität: Was wird aus dem Homeoffice?

Die Pflicht zur Zeiterfassung begründeten die Richter des Bundesarbeitsgerichts mit § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ‒ sie dient demnach ausdrücklich dem gesundheitlichen Schutz der Angestellten, nicht zu deren Überwachung. Sofern Mitarbeiter von zu Hause aus Zugriff auf ein Zeiterfassungssystem haben ‒ das insofern “zugänglich” ist ‒ um ihre Arbeitszeiten “objektiv” und “verlässlich” zu erfassen, spricht momentan alles dafür, dass die Vorgaben von EuGH und BAG erfüllt sind. Natürlich kommt es hier noch auf die zukünftigen gesetzlichen Vorgaben durch die Politik an. Doch der Gesetzgeber wird ein hohes Interesse daran haben, praxisnahe Vorgaben zu machen. Schließlich hat sich mittlerweile Remote Work flächendeckend etabliert. Viele Arbeitnehmer genießen die Freiheit, flexibel an einem bis mehreren Tagen in der Woche von einem anderen Ort als vom Gemeinschaftsbüro aus zu arbeiten. New Work ist in der Mitte der Arbeitswelt angekommen, die Politik wird sich ganz sicher nicht an dieser Frage die Finger verbrennen wollen.

Warum die Pflicht zur Zeiterfassung eine Chance für Unternehmen ist

Keine Frage, das BAG-Urteil bedeutet für Unternehmen erst einmal zusätzlichen Aufwand. Ein passendes Zeiterfassungssystem auszuwählen und einzuführen benötigt Zeit und Budget. Doch ist eine digitale Zeiterfassung erst einmal im Arbeitsalltag angekommen, ersetzt sie Papierbögen und Excel-Listen, rechnet Überstunden automatisch aus und erfasst übersichtlich Krankheits- sowie Urlaubstage. Letztendlich sparen HR-Managerinnen und -Manager mit einer passenden Software massiv Zeit, die sie für wichtige Aufgaben wie zum Beispiel Recruiting, Employer Branding oder dem Ausarbeiten einer HR-Strategie verwenden könnten. Zusätzlich verringern die automatischen Prozesse und Berechnungen die Wahrscheinlichkeit von Fehlern. Das BAG-Urteil hat damit das Potenzial, die Digitalisierung von HR einen wichtigen Schritt nach vorne zu bringen ‒ und zwar in einer Form, von der Unternehmen langfristig profitieren.

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Disclaimer

Die Inhalte dieses Beitrags sind sorgfältig recherchiert, stellen jedoch keine Rechtsberatung dar. Bitte wenden Sie sich bei konkreten rechtlichen Fragen an einen spezialisierten Fachanwalt.

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