Reverse Mentoring – wenn alt von jung lernt

Mentoring-Programme haben in vielen Unternehmen einen hohen Stellenwert. Sie stehen für Wissensaustausch, eine moderne Lernkultur und generationenübergreifende Karriereentwicklung. Klassischerweise geben ältere Kollegen mit langjähriger Berufserfahrung ihr Wissen an die Jüngeren weiter. Doch es geht auch anders: Ein Trend in der Personalentwicklung ist das sogenannte Reverse Mentoring. Erfahren Sie, was es mit Reverse Mentoring auf sich hat und wie sich Unternehmen diese Methode in der Führungskräfteentwicklung zunutze machen.
Was Reverse Mentoring laut Definition ist
Per Definition ist Reverse Mentoring ein umgekehrtes Mentorenprogramm. Nicht die älteren Kollegen, beispielsweise aus der Generation X, geben ihr Wissen an eine jüngere Generation weiter, sondern es ist genau anders herum: Ein älterer Kollege – der Mentee – lernt im Zweierteam von einem jüngeren, in diesem Fall dem Mentor. Im Gegenteil zu klassischem Mentoring spielen dabei weniger Lebens- und Berufserfahrung als Spezialkenntnisse in technologischen Bereichen wie Social Media, Software-Nutzung und digitaler Mediennutzung eine Rolle. Insbesondere beim Thema Digitalisierung ist Reverse Mentoring ein Zeichen moderner Organisationsentwicklung.
Erfolgreiches Reverse Mentoring basiert auf klaren Zielsetzungen, passgenauer Abstimmung der Tandems sowie der Bereitschaft beider Seiten, voneinander zu lernen.
Wo kommt Reverse Mentoring zum Einsatz?
Der Generationenaustausch ist im Idealfall tief in den Werten der Organisation verankert. Unternehmen, die Reverse Mentoring praktizieren, verfügen in der Regel über eine offene und moderne Unternehmenskultur. Innovation, Diversität und Inklusion werden dabei großgeschrieben.
Mit Programmen zum Reverse Mentoring fördert ein Unternehmen den Zusammenhalt zwischen den Generationen. Während es einerseits Personalentwicklung betreibt, stärkt es zeitgleich sein Diversity Management.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben große Konzerne wie IBM, die Telekom und das Pharmaunternehmen Merck in den vergangenen Jahren Reverse-Mentoring-Programme etabliert. Dabei vermittelt die Personalabteilung interessierten Führungskräften auf freiwilliger Basis Auszubildende oder junge Berufseinsteiger als Mentoren. In individuellen Trainings, wie zum Beispiel in 4-Augen-Gesprächen erklären die Jungen den Älteren Funktionalitäten und Einsatzmöglichkeiten von Social-Media-Plattformen wie Facebook und X (vormals Twitter).
Generationenunterschiede sinnvoll nutzen: Technologiekompetenz im Fokus
Neben einer hohen Flexibilität und Agilität überzeugen jüngere Generationen insbesondere mit einer hohen Technologiekompetenz. Schließlich wachsen sie mit digitalen Medien auf und lernen in Ausbildung und Studium unterschiedliche Medienarten kennen und bedienen. Im Vergleich zu älteren Arbeitnehmergenerationen – sogenannte Silver Worker –, die sich digitales Wissen erst in einer späteren Lebensphase aneignen, sind jüngere Mitarbeiter an dieser Stelle durchaus im Vorteil.
Die meist jüngeren Mentoren profitieren wiederum von ihrer Teilnahme und Einflussnahme auf die Programmgestaltung. Wichtig hierbei: Wertvolle Netzwerkbildung und gute Kontakte innerhalb der älteren Belegschaft. Das ist auch für ihre eigene Karriere förderlich. Zudem erhalten sie durch den Austausch oft neue Perspektiven auf Unternehmensstrukturen und strategisches Denken – eine Erfahrung, die über reines Technologiewissen hinausgeht.
Wie sieht ein Reverse Programm in der Praxis aus?
Mitarbeiterbindung und Führungskräfteentwicklung nehmen in vielen HR-Abteilungen einen hohen Stellenwert ein. Entsprechend vielfältig sind auch die Ziele und Maßnahmen, die für ein modernes, positives und wissensorientiertes Arbeitsklima sorgen. Diese reichen von gezieltem Hierarchieabbau bis hin zur modernen Talentförderung, zu der auch Maßnahmen wie Reverse Mentoring zählen. In der Praxis ist Reverse Mentoring häufig in ein mehrteiliges Diversity-Konzept eingebunden:
Generationenübergreifende Teams
Eine generationenübergreifende Teamstruktur ermöglicht, dass sich die Stärken älterer und jüngerer Arbeitnehmer optimal ergänzen. Ein regelmäßiger Austausch, etwa im wöchentlichen Jour fix, sorgt dafür, dass alle Teammitglieder auf einem Stand sind und offene Fragen direkt miteinander klären. .
Moderne Feedback-Methoden
Viele Unternehmen legen heutzutage Wert auf agile, wissenschaftlich fundierte Feedback-Methoden. Dialogorientiertes und konstruktives Feedback trägt zu einer aktiven und positiven Teamkultur bei. Ältere Arbeitnehmer profitieren an dieser Stelle von den Fähigkeiten der jüngeren Kollegen, da sie selbst meist eine vergleichsweise eindimensionale Feedbackkultur kennengelernt haben.
Workshops und Schulungen
Insbesondere Kommunikationstechnologien und Lösungen, die das Projektmanagement erleichtern, verändern sich schnell – und setzen in der Regel ein digitales Grundwissen voraus. Workshops und Schulungen, bei denen jüngere Kollegen Technologien erläutern und anhand konkreter Beispiele demonstrieren, helfen älteren Mitarbeitern, Barrieren und Hemmungen abzubauen. Gleichzeitig bekommen IT-Verantwortlichen eines Unternehmens ein besseres Verständnis für die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Anwender und haben die Möglichkeit, gezielt Hilfestellung zu organisieren. Solche Lernformate fördern eine nachhaltige Lernkultur und tragen zur Innovationsfähigkeit des Unternehmens bei.
Unternehmensberatung zieht erfolgreiche Bilanz
Die internationale Unternehmensberatung PWC berichtet in einer Case Study über ihre positiven Erfahrungen mit Reverse Mentoring in China, wo Rollenbilder und Altersstrukturen als besonders traditionell gelten. Zum Start initiierte PWC ein 6-monatiges Reverse Mentoring mit 4 Kernzielen.
PWC in China: Zielsetzungen von Reverse Mentoring
Im Mittelpunkt des 2022 gestarteten Programms standen:
- Der Aufbau engerer Beziehungen und der Ausbau beruflicher Netzwerke
- Die Erforschung von Generationsunterschieden und Möglichkeiten, diese zu überbrücken
- Die Anregung neuer Ideen zur Verbesserung der Zusammenarbeit sowie
- Die Neugestaltung von Arbeitsweisen und die Förderung von Inklusion und Vielfalt
Win-Win Situation für Mentoren und Mentees
Dazu resümiert PWC: “Die Reverse-Mentoring-Beziehung ermöglicht es sowohl dem Mentor als auch dem Mentee, von den Erfahrungen des jeweils Anderen zu profitieren. Junge Mitarbeiter erhalten Zugang zum Wissensschatz ihrer Mentees und zu unterschiedlichen Perspektiven auf das Unternehmen, in dem sie arbeiten. Außerdem profitieren sie von mehr Transparenz und Anerkennung durch das Management und können an der Entwicklung einer Unternehmenskultur mitwirken, auf die sie stolz sein können.” Die Mentees wiederum lernten durch das Programm neue Kommunikationsstile, moderne Technologien für das Geschäftsleben sowie soziale Netzwerke kennen und erhielten direkte Einblicke von Kollegen aus ihrem Unternehmen.
Birgt Reverse Mentoring auch Risiken?
Auch wenn Reverse-Mentoring-Modelle in der Theorie oftmals einen großen Gewinn darstellen, sind sie mit Herausforderungen verbunden. Gerade in hierarchisch aufgebauten Unternehmen ist es in der Praxis nicht immer einfach, traditionelle Strukturen auf den Kopf zu stellen. So entstehen möglicherweise Missverständnisse, wenn unterschiedliche Arten zu kommunizieren und verschiedene Hierarchieebenen aufeinandertreffen.
Jüngere Mentoren befürchten im Zweifel Karrierenachteile, wenn das Reverse Mentoring nicht auf gegenseitigen Enthusiasmus stößt und ältere Mentees sich bevormundet fühlen. Insbesondere wenn ältere Mentees Führungsrollen bekleiden, fürchten sie möglicherweise, dass jüngere Kollegen das mangelnde Wissen in einigen Bereichen als Schwäche wahrnehmen und lehnen das Konzept ab. HR tut also gut daran, eine offene Fehlerkultur und ein Umfeld zu schaffen, in dem Lernprozesse auf Augenhöhe stattfinden.
Reverse Mentoring braucht Empathie und Verständnis
Damit Unternehmen in der Praxis von den Vorteilen profitieren, die Reverse Mentoring bringt, braucht es vonseiten der Personalabteilung eine sorgfältige Planung und Vorbereitung. Mit Blick auf Mentoren und Mentees sind Offenheit und Einfühlungsvermögen unverzichtbar. Erfahrene und junge Mitarbeiter stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Im Gegenteil: Mentor und Mentee verfügen idealerweise über ein gutes Vertrauensverhältnis und begegnen dem Konzept mit Neugier und Lernbereitschaft. In gut ausgewählten Tandems ergänzen sich die Stärken von Mentoren und Mentees.
Außerdem ist es hilfreich, dem Programm genügend Zeit innerhalb des Tagesgeschäfts einzuräumen. Für Unternehmen, die mit dem Konzept des Reverse Mentorings liebäugeln, empfiehlt es sich, zunächst eine Pilotphase mit wenigen Tandems zu starten. Anschließend bauen sie das Programm im Rahmen eines agilen Veränderungsmanagements sukzessive weiter auf. Regelmäßiges Feedback hilft dabei, Spannungen frühzeitig zu erkennen und Erkenntnisse aus bisherigen Erfahrungen gezielt zu nutzen. Langfristig trägt Reverse Mentoring so zur Förderung einer resilienten, lernenden Organisation bei – und bietet einen klaren Wettbewerbsvorteil in einer dynamischen Arbeitswelt.
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